Das gläserne Unternehmen

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Blog, People & Culture

Zum Umgang mit Information und Transparenz

Fragt man in „normalen“ Unternehmen die Mitarbeiter: „Fühlen Sie sich hier gut informiert?“, ist mit einem desillusionierten oder bestenfalls belustigten Kopfschütteln zu rechnen. Der Klassiker. Ich kenne nur wenige Unternehmen, in denen die Mitarbeiter mit großer Mehrheit feststellen: „Ich werde hier über wichtige Dinge auf dem Laufenden gehalten“. Genau diese Frage wird anonym den Mitarbeitern der Unternehmen gestellt, die sich dem Great Place to Work® Wettbewerb stellen. Und der Beweis, dass Mitarbeiter sich doch gut informiert fühlen können, wird dort erbracht. Bei den Bestplatzierten sagen weit über 80% der Mitarbeiter, dass sie gut informiert werden, bzw. sich gut informiert fühlen. Ich betone „gut informiert fühlen“, denn Information ist meines Erachtens ein Gefühl, welches Ausdruck einer vertrauensbasierten Unternehmenskultur ist. Eine gute interne Informationsstrategie ist nicht der zum Scheitern verurteilte Versuch, alles an jeden über alle Kanäle zeitnah zu kommunizieren, sondern

  1. die Bereitschaft nahezu alle relevanten Dinge offen zu legen ohne zu wissen, was irgendwann einmal in welchem Kontext relevant wird,
  2. die frühzeitige und initiative Multikanal Verbreitung von Informationen zu wichtigen Veränderungen,
  3. die Befähigung der Mitarbeiter auf gewünschte Informationen zuzugreifen und diese zu bewerten,
  4. offene Türen mit den Führungskräften zum spontanen Informationsaustausch.

Folgende Aspekte möchte ich heute beleuchten. Zum einen will ich verdeutlichen, dass ein sehr hohes Maß an Transparenz und umfassender Information für den Erfolg eines modernen Unternehmens von zwingender Voraussetzung ist. Zum anderen zeige ich einige Wege auf, wie das Gefühl des „sich-gut-informiert-fühlen“ gezielt gefördert werden kann.

Warum ist ein hohes Maß an Transparenz und umfassende Information in den letzten Jahren zunehmend wichtiger geworden? Mit dem Wandel von der Industriekultur zur Wissenskultur (auch in Industrieunternehmen) verschwindet das Wissens- und Informationsmonopol von „denen da oben“. Ein Unternehmen, das sich dezentral, agil, selbst-organisiert aufstellt, muss zwingend den dezentralen Einheiten alle Informationen zur Verfügung stellen, die diese für ihre weitgehend autonomen Tätigkeiten und Entscheidungen benötigen. Dabei können die zentralen Einheiten bzw. die „Entscheider da oben“ gar nicht im Vorhinein wissen, welche Informationen sie genau zur Verfügung stellen müssen. Es geht also darum, dezentralen Einheiten einen Zugriff auf nahezu alle ggfls. relevanten Informationen zu ermöglichen und die dort tätigen Menschen auch zu befähigen, die Informationen zielführend zu nutzen.

Welche Informationen können das sein? In meinem Unternehmen noventum sind dies z.B. alle relevanten betriebswirtschaftlichen Daten aus der Gewinn- und Verlustrechnung, der Bilanzierung, der Liquiditätsrechnung, des Forecastings u.v.m. Ebenso wichtig sind die strategischen Konzepte der einzelnen Geschäftsfelder, in denen die Wettbewerbspositionierung, die Entwicklungspläne, das Partnermanagement, die Vertriebsstrategie, das Marketingkonzept u.Ä. verdeutlicht sind. Weiterhin sind interne Organisationskonzepte und deren Weiterentwicklung und ganz besonders die Rollen und deren Inhaber von großem „unternehmens-öffentlichem“ Interesse. Schließlich sind Informationen über Erfahrungen aus konkreten Kundenprojekten von großer Bedeutung.

Wenn also im ersten und zwingenden Schritt die Bereitschaft der Unternehmensführung besteht, die oben genannten Bereiche für das „unternehmens-öffentliche“ Interesse zu öffnen, stellen sich jedoch noch die Fragen, wie der praktische Zugriff ermöglicht wird und wie sichergestellt wird, dass jeder die Informationen auch angemessen bewerten kann.

Üblicherweise befinden sich Informationen zu Betriebswirtschaft, Geschäftsfeldplanung, Organisationsentwicklung und Kundenprojekten nicht in einem einzigen und intuitiv zugänglichen System. Der Aufruf „Jeder darf hier in den entsprechenden Systemen sich alles ansehen“ führt damit wohl nicht zum Ziel. Der Zugriff auf die Informationen muss also entweder durch system-erfahrene Mitarbeiter erfolgen und/oder über ein vorgelagertes System, das jeder Mitarbeiter leicht bedienen und verstehen kann. Bei uns im Unternehmen ist dieses System eine Kombination aus dem Microsoft Portal Server und einer selbst entwickelten BI-basierten Lösung zur Analyse der wichtigsten Unternehmenskennzahlen. Das BI System befindet sich nach einer Pilotierungsrunde jetzt im Re-Design. Wir mussten lernen, dass die Bereitstellung von Zahlen alleine noch keine Lust auf die Nutzung eines offenen Management Dashboards erzeugt.

Neben dem Aufruf „Hier sind die Systeme! Alles ist transparent! Nutzt die Informationen!“ – ist eine Führung durch den Informationsdschungel zwingend erforderlich. Hierzu haben wir uns verschiedenste Formate „ausgedacht“, z.B. monatliche Webkonferenzen, umfassende Darstellungen auf Mitarbeiterversammlungen, „Transparenzslots“ auf Teammeetings, strategische Kaminabende, „Knowledge-Management-Days“, Marktstrategiemeetings und manchmal auch situationsbezogene Veranstaltungen. Und sollten Mitarbeiter weder auf den Infoveranstaltungen noch beim Durchstöbern der Informationssysteme die Informationen finden, nach denen sie dürsten, so ist es ein Zeichen von Vertrauenskultur, dass die Türen ihres Vorgesetzten oder einer beliebigen anderen Führungskraft weit offenstehen, um alle Informationen freizügig zu geben, Fragen zu beantworten und eine Bewertung vorzunehmen. Dass unsere Informationsstrategie fruchtet, zeigen unsere anonymen Great Place to Work Befragungsergebnisse.  

Transparenz im Unternehmen zu schaffen, die nahezu überall ankommt und die einen wichtigen Beitrag zum Unternehmenserfolg leistet, ist eine Herkulesaufgabe. Ich bin der festen Überzeugung, dass es sich lohnt. Zum einen hilft es sowohl bei der strategischen Entwicklung des Unternehmens, wie auch zur Orientierung im Tagesgeschäft. Ganz wichtig, es hilft auch in Krisenzeiten. Ich durfte selbst in unserer existenzbedrohenden Krise im Jahre 2002 erleben, wie die „brutalstmögliche“ Offenlegung von sehr kritischen GuV-Auswertungen und Liquiditätsprognosen dazu geführt hat, dass die „Mannschaft“ in beeindruckender Weise die Ärmel hochgekrempelt hat, um den Karren aus dem Dreck zu ziehen.

Gibt es in modernen Unternehmen Grenzen von Offenheit und Transparenz? Vielleicht. Sicher gibt es Unternehmen und Branchen, die hochgradig wettbewerbsrelevante Informationen nicht einmal ihren Mitarbeitern gegenüber offenlegen wollen. Dafür kann es gute Gründe geben. In unserem Unternehmen ist dies nicht der Fall. Unsere Geschäftssubstanz liegt nicht in den Informationen an sich, sondern darin, dass wir Menschen mit der richtigen Einstellung und der passenden Kompetenz finden und halten. Diese Menschen nutzen unsere Informationen in immer wieder neuen Kontexten, wobei nicht die Information, sondern die Mensch-Informations-Kombination den Unterschied macht. Und doch gibt es eine Bastion, an die wir uns bislang nicht herangewagt haben, nämlich die Gehaltstransparenz. Gehälter in Beratungsunternehmen haben üblicherweise eine hohe Varianz und sind u. a. abhängig von der Erfahrung, dem „Marktwert“ und dem erzeugten Kundennutzen des Mitarbeiters. Ob das dann in jedem Fall im Vergleich von Mitarbeiter zu Mitarbeiter fair und angemessen wirkt, ist zumindest fraglich. Lässt man jedoch die Gehälter der Kollegen bewusst intransparent, ist die betriebswirtschaftliche Transparenz lückenhaft. Man muss dann Gruppenbildungen vornehmen, um Einzelgehälter zu „verschleiern“. Das ist in vielen Unternehmen, so auch bei noventum, gelebte und bewährte Praxis. Was würde passieren, wenn diese letzte Bastion der Intransparenz fällt? Wie sehen die Risiken und Nebenwirkungen aus? Gibt es eine zermürbende Neiddiskussion? Haben es Headhunter leichter? Kommt diese Transparenz teuer zu stehen? Diese Fragen bewegen mich und ich suche nach einer Antwort. Über sachdienliche Hinweise würde ich mich sehr freuen.  

Abschließend möchte ich noch eine schöne Inspiration mit Euch teilen. Und zwar den Open-Book-Management Ansatz, wie er von Jack Stack in seinem Buch „The Great Game of Business“ dargestellt wird. Dr. Kerstin Friedrich, die ich Euch in der letzten Woche bereits als Experte zum Thema „Engpass konzentrierte Strategie“ vorgestellt hatte, trägt dieses aus den USA stammende Konzept unter der Bezeichnung GoGreat nach Deutschland, siehe www.gogreat.de. Hier wird eindrucksvoll verdeutlicht, warum Unternehmen mit einer Transparenzstrategie eine hervorragende Voraussetzung haben, außerordentlich erfolgreich zu sein.

 

In der kommenden Woche schaue ich den Zukunftsforschern des Zukunftsinstituts ein wenig über die Schulter, analysiere kurz deren Verständnis von New Work und reflektiere, was dies in den letzten 20 gemeinsamen Jahren mit meinem Unternehmen gemacht hat. Und wie sich New Work für uns in den nächsten 20 Jahren entwickeln könnte.

 

Wichtige Literatur zum Thema

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