Post Merger Integration im Lockdown?
Projektmanagement und Kommunikationsplanung müssen sich im Lockdown neu orientieren. Mehr reden, mehr schreiben, mehr prüfen!
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IT & Management Consulting, IT M&A, Post Merger Integration
Hand aufs Herz: Hatten Sie den Ausbruch einer Pandemie auf der Risikoliste Ihres letzten PMI-Projektes? Wie führt man z.B. in der IT einen Rollout von Arbeitsgeräten an die neuen Mitarbeiter durch, während insbesondere die Belegschaften in den Mittelmeerstaaten plötzlich zuhause in Quarantäne sitzen? Aus diesen und vielen weiteren neuen Problemstellungen eines aktuellen, von der Pandemie betroffenen PMI-Projektes ergeben sich viele Lessons Learned, aus denen man nicht nur in Pandemie-Zeiten Lehren ziehen kann. Vor allem Projektmanagement und Projektkommunikation sind mit neuen Erkenntnissen für das nächste PMI-Projekt gestärkt – im Lockdown oder in der Welt nach Corona.
Post Merger Integrationen sind immer besonders
PMI-Projekte können auch ohne Pandemie und Lockdown eine besondere Herausforderung sein. Oft kommen sie für die IT-Abteilungen sehr überraschend und mit anspruchsvollen Terminvorgaben daher. In dem betreffenden M&A-Projekt ging es um den Carve-in eines Energieanlagen-Herstellers mit Tochterunternehmen in Deutschland, Italien und Spanien in einen großen internationalen Energiekonzern mit Sitz im Ruhrgebiet. Die IT des aufnehmenden Mutterkonzerns war mit der vollständigen IT-Integration der neuen Standorte beauftragt und wurde dabei von der IT-Managementberatung noventum consulting aus Münster unterstützt.
Von COVID-19 war zum Zeitpunkt des Projektstarts im Sommer letzten Jahres noch keine Rede. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem uns die Pandemie in Europa ereilte, handelte es sich noch um ein ganz „normales“ IT M&A-Projekt, welches gerade dabei war, die wichtigsten Vorbereitungen und Planungen für einen Cut-Over Anfang April 2020 durchzuführen. Ein detailliertes Sollkonzept beschrieb das geplante Vorgehen der verschiedenen betroffenen IT-Disziplinen. Angefangen bei der Anbindung von internationalen Standorten, über die Auslieferung neuer PC-Arbeitsplätze und der Integration einer dreistelligen Anzahl verschiedener Applikationen. Als konkreter Cut-Over-Termin stand bereits das erste Aprilwochenende fest und war schon in greifbare Nähe gerückt, als dann Anfang März der Lockdown kam. Hiervon waren bekanntlich die Menschen im Mittelmeerraum besonders stark betroffen.
Post Merger Integration aus dem Homeoffice?
Die Auswirkungen des Lockdowns waren für alle Lebensbereiche schwerwiegend und natürlich auch für dieses Projekt. Zunächst mussten sich die IT-Abteilungen - sowohl beim abgebenden als auch beim aufnehmenden Unternehmen - darum kümmern, ihre eigene Belegschaft im Homeoffice arbeitsfähig zu bekommen. Diese allgegenwärtige Aufgabenstellung allokierte Ressourcen bei allen Beteiligten, natürlich auch bei Zulieferern und Dienstleistern. Und: Wie sollte man jetzt die Workstations – überwiegend Notebooks - an Mitarbeiter übergeben, während diese im Homeoffice sitzen?
Eine weitere Problematik war das buchstäbliche Einreißen der Lieferketten. Zugesagte Liefertermine z. B. für Hardwarelieferungen oder Leitungsschaltungen wurden revidiert oder einfach nicht durchgeführt. Sei es, dass wichtige Bauteile aus Fernost nicht mehr verfügbar waren oder Techniker nicht mehr ausrücken durften. Je mehr Glieder diese Kette hatte, desto sicherer war ihr Versagen.
Auch wenn alle Beteiligten bereits Erfahrungen mit modernen Kommunikationswerkzeugen wie Video- oder Onlinekonferenzen hatten, war es dann doch eine Umstellung für viele, sich nun fast ausschließlich in dieser Form mit den Kollegen verständigen zu müssen. Der Stille-Post-Effekt potenzierte sich, da man den Weg der vom heimischen Schreibtisch abgeschickten Information nun noch schwieriger nachverfolgen konnte als dies üblicherweise der Fall war. Zufällige Begegnungen auf dem Flur, mit dem der Projektleiter solche Dinge verproben konnte, waren ja nicht mehr möglich.
Und jeder Einzelne musste für sich selbst mit dieser außergewöhnlichen und teilweise bedrohlichen Situation umzugehen lernen. Von Kinderbetreuung bis Kurzarbeit – jeder hatte zunächst einmal andere Prioritäten zu setzen.
Der kritische Pfad des Projektes war aufgrund dieser Umstände terminlich nicht einzuhalten und so beschlossen die Verantwortlichen, den geplanten Cut-Over zunächst bis auf Weiteres zu verschieben.
Kommunikation und Methodik im PMI-Projekt auf dem Prüfstand
Dennoch: Das „new normal“ setzte sich bei den Beteiligten innerhalb weniger Tage durch und so konnte der Cut-Over Mitte Mai, mit nur etwa eineinhalb Monaten Verspätung, erfolgreich umgesetzt werden – für die meisten vom Homeoffice aus. Steile Lernkurven in Sachen Kommunikation und Methodik ebneten den Weg. Die Auslieferung bzw. Übergabe der Hardware und Arbeitsplätze waren unter dem Gesichtspunkt von Quarantäne, Hygiene- und Abstandsregelungen eine Herausforderung, konnten aber Dank der Mitarbeit jedes einzelnen Anwenders gut bewältigt werden.
Nachdem die Betriebsfähigkeit für das Tagesgeschäft unter den neuen Bedingungen hergestellt und gesichert war, stellte man sich zwangsläufig auf eine neue Form der Projektkommunikation ein. Projekttermine wurden ausschließlich online durchgeführt, Gespräche mit den Kollegen „auf dem Flur gegenüber“ ebenfalls. Das Flipchart oder Whiteboard an der Wand wurde durch die Online-Bearbeitung gemeinsamer Dokumente ersetzt. Allerdings war die Qualität der Onlinedienste besonders am Anfang der Krise noch ‚durchwachsen‘. Insbesondere die cloudbasierten Anbieter mussten ihre Systeme erst auf den plötzlichen Andrang einstellen. Gerade Online-Sitzungen mit vielen Teilnehmern boten keine besonders gute Qualität und die Teilnahme an solchen Veranstaltungen war für viele anstrengend. Ohnehin erfolgte die Kommunikation vermehrt in schriftlicher Form, wobei nur die gute alte E-Mail sicherstellte, dass alle Beteiligten wirklich die gleichen Informationen zum gleichen Zeitpunkt erhielten. Auch das geschriebene Wort in Konzepten erhielt eine noch höhere Bedeutung. Die früher gerne als „Tonspur“ bezeichneten mündlichen Nebenabreden und Detailinformationen wurden zunehmend in Dokumenten und Protokollen verschriftlicht.
Informationen wurden gezielter und strukturierter verteilt, die Projekthierarchie wurde flacher. Es wurde versucht, die Teilnehmer von Online-Meetings gering zu halten. Die zu besprechenden Themen bestimmte die Auswahl der Teilnehmer. Bilaterale Gespräche wurden bevorzugt, auch wenn dies bedeutete, dass die Projektleitung die Dinge mehrmals vermitteln musste. Rückwirkend betrachtet war dies ein sehr effizientes Vorgehen. Die Not brachte das Team dazu, die immer schon propagierten Tugenden von produktiven Sitzungen (minimale Anzahl Teilnehmer, Agenda, Zeitmanagement, Protokollierung usw.) wirklich in die Tat umzusetzen.
Prozesssicherheit im Lockdown durch Projektmanagement und Qualitätsmanagement
Die Tatsache, dass sich das gesamte Projektteam nach dem Lockdown nicht mehr persönlich treffen konnte, hob den Nutzen bewährter Methoden und Automatismen hervor, die auch in Pandemie-freien Zeiten eine erhebliche Erleichterung bedeuten. Angefangen von einer nie dagewesenen Detaillierung des Projektplans und akribischer Arbeitsstandkontrolle durch die Projektleitung bis zu einem halbautomatisierten, minutengenauem Trackingsystem, mit dem die Erledigung der kleinteiligen Aufgaben im Cut-Over-Wochenende zurückgemeldet und an alle Beteiligten in Echtzeit kommuniziert wurde. Jedes Projektmitglied war so zu jedem Zeitpunkt über den genauen Stand der Arbeiten am Umstellungswochenende informiert und wusste, wann sein Einsatz kommt.
Ein weiterer Faktor für den Erfolg des Projektes unter Pandemie-Bedingungen war der Einzug einer zusätzlichen Qualitätssicherung im Hinblick auf die Überprüfung der durchgeführten Arbeitsaufträge. Insbesondere bei der Einbeziehung Dritter waren Erledigungsmeldungen bestimmter Beauftragungen wie z. B. Leitungen oder Hardwareaufbau aufgrund der erschwerten Bedingungen nicht immer korrekt oder vollständig. Ein Double-Check durch intensive Abnahmetests schützte hier vor Kommunikationsfehlern.
Die Lehren aus dem Lockdown: mehr reden, mehr schreiben, mehr prüfen!
Zusammengefasst kann man die Erfolgsfaktoren des Projektes mit den folgenden Punkten beschreiben:
- Die Kommunikation zwischen Projektleitung und den Arbeitspaketen sollte direkter, d.h. häufiger und bilateral erfolgen, die Projekthierarchie abgeflacht werden. Eine eingezogene Teilprojektstruktur ist hierbei eher hinderlich.
- Besinnen Sie sich zurück auf das „geschriebene Wort“. Halten Sie Ergebnisse, Aufgaben und Informationen noch stärker in schriftlicher Form (Mails, Konzepte, Protokolle) fest, so detailliert wie möglich. Dies sorgt für unverfälschte und verbindliche Informationsübermittlung. Stellen Sie sicher, dass alle Beteiligten Zugang zu den Dokumenten haben und legen Sie ggf. fest, welche Dokumentversionen verbindlich sind.
- Die Projekt- und Cut-Over-Pläne sollten detailliert sein und mit einem Status-Trackingsystem ausgestattet werden, welches dafür sorgt, dass alle Beteiligten einen möglichst aktuellen Stand der Arbeitsstände erhalten.
- Aufträge, die über Lieferketten ausgeführt werden, sollten durch zusätzliche Tests- und Abnahmekriterien einem Doublecheck unterzogen werden. Projektleiter dürfen erst dann glauben, dass die WAN-Leitung stabil funktioniert, wenn sie es „selbst gesehen haben“.
Auch ohne Pandemie-Vorzeichen werden sich diese Dinge bei Projekten mit stark verteilt sitzenden Mitarbeitern positiv auswirken.
Niemand weiß, ob und wann wir wirklich wieder in einen „Normalzustand“ versetzt sein werden und ob nicht doch noch weitere Infektionswellen zu ähnlich drastischen Konsequenzen führen wie zu Beginn der Pandemie. Aber eines ist sicher: Pandemien und Lockdowns werden nun sicherlich häufiger Bestandteil von Risikoanalysen sein. Mit den hier beschriebenen Erfahrungen ist man nun aber vielleicht ein Stückchen besser darauf vorbereitet.
Corona hat vor allem die Methoden der Kommunikation verändert. Die M&A Community sollte ausführlich ihre Erfahrungen zu Mergern unter Corona zusammentragen, vieles ist schon heute nicht mehr, wie es war.
Frank Schlottbohm im: "Standpunkt" in der M&A Review 10/2020