Von der IT-Strategie zur Umsetzung – Erfolgsfaktoren und Herausforderungen internationaler IT-Transitionen
Zwischen Zeitzonen, Kulturen und Kommunikationsstilen – wie internationale IT-Transitionen gelingen.
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IT & Management Consulting, Sourcing Transition & Transformation

Internationale IT-Transitionen scheitern selten an Technik – sondern an Kultur, Kommunikation und Erwartungen. Der Aufbau von Tech-Hubs in Indien, Polen oder Rumänien kann dem IT-Fachkräftemangel begegnen, bringt aber komplexe Herausforderungen mit sich. Wie gelingt es, Wissen nachhaltig zu übertragen, Mitarbeitende nicht zu überlasten und interkulturelle Teams erfolgreich zusammenzuführen? Der Artikel zeigt anhand konkreter Projekte, welche Erfolgsfaktoren wirklich zählen – und warum echte Zusammenarbeit mehr braucht als nur Tools und Prozesse.
Der Fachkräftemangel in Deutschland stellt Unternehmen vor immer größere Herausforderungen, insbesondere in der IT-Branche. Durch den demografischen Wandel verschärft sich diese Situation zunehmend: Es gibt schlicht nicht genug gut ausgebildete IT-Experten, um den steigenden Bedarf an Digitalisierung und technologischer Innovation zu decken. Gleichzeitig möchten Unternehmen in unsicheren wirtschaftlichen Zeiten ihre Abhängigkeit von externen Dienstleistern reduzieren und mehr Kontrolle über ihre IT-Kapazitäten gewinnen.
Vor diesem Hintergrund entscheiden sich immer mehr Großunternehmen mit eigenen IT Dienstleistern eine Tochtergesellschaft in Polen, Rumänien, oder Indien zu gründen. Ziel dieser Tech-Hubs ist es, qualifiziertes IT-Personal bereitzustellen, das als Support für die deutschen Software-Teams fungiert. Indien bietet mit seinem großen Pool an IT-Fachkräften eine attraktive Lösung, um langfristig stabile und kosteneffiziente IT-Ressourcen aufzubauen. Rumänien und Polen bieten sowohl IT-Ressourcen als auch Projektmanagement Kapazitäten.
Doch eine internationale IT-Transition dieser Größenordnung bringt zahlreiche Herausforderungen mit sich. Neben organisatorischen und technologischen Fragen spielt insbesondere die interkulturelle Zusammenarbeit eine zentrale Rolle. Unterschiede in Arbeitsweisen, Kommunikationsstilen und Erwartungshaltungen müssen gezielt berücksichtigt werden, um eine erfolgreiche Integration zu gewährleisten. Dieser Artikel beleuchtet die zentralen Erfolgsfaktoren und Herausforderungen einer IT-Transition im internationalen Kontext – von der strategischen Planung bis hin zur operativen Umsetzung.
Von der Strategie zur Operationalisierung
Herausforderungen
Kulturelle Unterschiede
Kulturellen Unterschieden nicht genügend Beachtung zu schenken, kann weitreichende Folgen haben und unter Umständen den Unterschied zwischen Erfolg und Misserfolg einer internationalen IT-Transition ausmachen. Umso wichtiger ist es, alle Beteiligten gezielt für interkulturelle Besonderheiten zu sensibilisieren und sie darauf vorzubereiten, wie mit unterschiedlichen Kommunikations- und Arbeitsstilen umzugehen ist. Eine klare Erwartungshaltung auf beiden Seiten hilft zudem, Missverständnisse frühzeitig zu vermeiden und potenzielle Rückschläge abzufedern.
Aus unserer 30-jährigen Erfahrung bei noventum im Transition Management und der internationalen Zusammenarbeit wissen wir, dass insbesondere hierarchische Strukturen einen erheblichen Einfluss auf die Kommunikation haben. Während in Deutschland eine offene und direkte Feedback-Kultur gefördert wird, herrscht zum Beispiel in Indien häufig eine größere Zurückhaltung gegenüber Vorgesetzten oder höher gestellten Kollegen. Kritische Meinungen werden nicht ohne Weiteres geäußert, und Widerspruch wird oft vermieden. Ein essenzieller Bestandteil einer erfolgreichen Zusammenarbeit ist es daher, einen Prozess zu etablieren, der eine wertschätzende, transparente und direkte Kommunikation fördert – ohne dabei kulturelle Eigenschaften zu übergehen.
Change Management – Überbelastung der Knowledge Provider
Der Wissenstransfer ist ein komplexer und langfristiger Prozess, der in drei Phasen unterteilt werden kann. Die erste Phase, die Basic Knowledge Transition (KT), dauert in der Regel neun bis zwölf Monate, abhängig davon, ob externe Dienstleister abgelöst werden oder lediglich eine Unterstützung der bestehenden Mitarbeitenden erfolgt. In beiden Szenarien ist es essenziell, dass sich die beteiligten Teams – insbesondere die externen Dienstleister – ausreichend Zeit für die Übergabe der Themen nehmen, während sie gleichzeitig ihre täglichen Aufgaben bewältigen. Dies kann schnell zu einer Überlastung führen; eine ausgewogene Balance zwischen Wissensvermittlung und operativem Geschäft ist daher unverzichtbar.
Eine Überbelastung der deutschen Mitarbeitenden kann rasch zu Motivationsverlust und einer ablehnenden Haltung gegenüber der Transition führen. In solchen Fällen ist es entscheidend, nah an den Teams zu sein, um die Stimmung sowohl innerhalb der einzelnen Software-Teams als auch teamübergreifend zu erkennen. Nur so können frühzeitig präventive Maßnahmen ergriffen werden, um negative Auswirkungen auf die Mitarbeitermotivation zu vermeiden. Es ist wichtig zu betonen, dass eine Transition zu Beginn immer mehr Zeit in Anspruch nehmen wird, als sie an Nutzen bringt – unabhängig davon, ob es sich um neue deutsche oder internationale Kolleg:innen handelt. Ein solches Ungleichgewicht in den Anfangsphasen ist völlig normal. Allerdings variiert die Dauer dieses Prozesses, da erfahrungsgemäß der Wissenstransfer in eine andere Sprache eine intensivere Vorbereitung erfordert. Diese zusätzliche Zeit und der Aufwand müssen eingeplant und entsprechend kommuniziert werden, um realistische Erwartungen zu setzen.
In der zweiten Phase liegt der Fokus auf teamspezifischem Wissen, das nur für bestimmte Kolleg:innen relevant ist. Da der Kreis der potenziellen Knowledge Provider in diesem Schritt deutlich kleiner wird, ist eine strukturierte Koordination durch eine verantwortliche Person erforderlich. Um eine effiziente Wissensvermittlung sicherzustellen und die Belastung einzelner Mitarbeitender zu minimieren, sollte die Wissensvermittlung gezielt auf mehrere Schultern verteilt werden.
Die dritte Phase, die Knowledge Extension, umfasst teamübergreifende Schulungen, die sowohl für die neuen internationalen Mitarbeitenden als auch für bestehende und neue deutsche Softwareentwickler von Bedeutung sind. In diesem Schritt sollte eine interne Ansprechperson nicht nur die Schulungsinhalte vermitteln, sondern auch priorisieren, welches „nice-to-have“-Wissen relevant ist und welche Expert:innen dieses weitergeben können. Durch diese strukturierte Herangehensweise wird sichergestellt, dass Wissen effizient und nachhaltig innerhalb der Organisation verankert wird.
Zeitliche und organisatorische Herausforderungen
Bei internationaler Zusammenarbeit unterscheidet sich der „Way of Working“ oft deutlich von den gewohnten Arbeitsmethoden. Ein spontanes Weitergeben eines neuen Requirements an die Kollegin am Nachbartisch ist in einem internationalen Kontext nicht mehr praktikabel. Diese Veränderung bringt jedoch einen entscheidenden Vorteil: Sie garantiert eine lückenlose Nachvollziehbarkeit des Informationsflusses und bietet die Gelegenheit, bestehende Prozesse zu hinterfragen und zu optimieren.
Die Corona-Pandemie hat viele Unternehmen auf diesen neuen Arbeitsmodus vorbereitet. Dank Tools wie MS Teams, Jira und Confluence ist es heute möglich, auch remote effizient zu arbeiten. Diese Technologien ermöglichen eine strukturierte Kommunikation und transparente Dokumentation, sodass über geografische Distanzen und Zeitzonen hinweg eine enge Zusammenarbeit gewährleistet werden kann. Auf diese Weise werden nicht nur die Effektivität der Zusammenarbeit gesteigert, sondern auch die langfristige Nachvollziehbarkeit und Qualität der Arbeitsprozesse verbessert.
Erfolgsfaktoren für eine effektive Operationalisierung
Einbezug der Teams in Entscheidungsprozesse und eine klare Kommunikation sind essenziell: Obwohl strategische Entscheidungen häufig in einem kleinen Kreis – etwa einem Transition-Kernteam – getroffen werden, sollten die Teams bei der Operationalisierung eingebunden werden, da sie Aufwand und Prioritäten am besten einschätzen können.
Ein strukturierter und detaillierter KT-Plan unterstützt die Wissensübergabe, macht sie nachvollziehbar und verhindert, dass Themen vernachlässigt oder vergessen werden.
Ein einheitliches Wissensmanagement mit einem zentralen Ablageort für Dokumente verhindert Doppelarbeit der Knowledge Provider. Besonders das Übersetzen deutscher Dokumente kann sehr zeitaufwendig und fehleranfällig sein, wenn es um firmeninterne Fachbegriffe geht; daher sollte eine Terminologie-Datenbank dem Übersetzungstool zur Verfügung gestellt werden.
Das Thema interkulturelle Zusammenarbeit in internationalen IT-Teams beschäftigt uns bei noventum immer wieder und das seit vielen Jahren. Lesen Sie hierzu ältere Beiträge auf dieser Platform:
noventum unterstützt Provider-Check in Indien
„Make or Buy“ in der IT-Sourcing-Strategie für internationales Handelsunternehmen
Supportformate – interkulturelle Aufklärung, Sprache und kontinuierliches Lernen
Interkulturelle Workshops in kurzen, praxisnahen Sessions machen sichtbar, wo deutsche Direktheit auf indische Höflichkeit trifft, und zeigen, wie beide Seiten ihre Stärken einbringen, ohne Missverständnisse zu riskieren.
Sprach- und Terminologie-Trainings stellen sicher, dass Englisch als Projektsprache funktioniert. Eine Terminologie-Datenbank reduziert Übersetzungsaufwand und sorgt dafür, dass bestimmte Begriffe auf beiden Kontinenten dasselbe bedeuten; dabei ist es sinnvoll, nicht jeden Begriff zu übersetzen, da internationale Kolleg:innen auch deutsche Begriffe verwenden und deren Bedeutung kennen.
Buddy- und Shadowing-Programme bieten neuen Kolleg:innen aus anderen Ländern in den ersten Monaten eine deutsche Ansprechperson – und umgekehrt. So entsteht rasch eine vertraute 1-zu-1-Brücke, über die sich auch heikle Fragen sicher stellen lassen. Das Resultat sind weniger Reibungsverluste, mehr Tempo beim Wissenstransfer und ein gemeinsames Qualitätsverständnis.
Meilensteine feiern und Kolleg:innen wertschätzen
Wir zelebrieren Fortschritt sichtbar für alle – nicht nur im Kernteam. Bewährt haben sich Abteilungsversammlungen mit „Transition Stories“, in denen wir Success- oder Lessons-Learned-Stories präsentieren, um ein klares Bild der Realität zu vermitteln und aus unseren Erfahrungen zu lernen. Feiern wirkt doppelt: Es verstärkt das Engagement und festigt das Vertrauen, das in Phase 1 des Projekts so entscheidend ist.
Interkultureller Austausch und Reisen - Brücken bauen, Vertrauen vertiefen
Mehrmals pro Jahr sollten deutsche Leads und ausgewählte Teammitglieder für eine gewisse Zeit zum Tech-Hub reisen, um strategische Weichen zu stellen, Fachwissen zu teilen, den Wissensstand einzuschätzen und den persönlichen Austausch zu pflegen. Umgekehrt arbeiten indische, rumänische und polnische Kolleg:innen mehrere Wochen in ihren Teams in Deutschland und werden vollständig ins Daily Business integriert. Der Aha-Moment: Sobald man sich persönlich getroffen hat, wird aus dem „Kollegen auf dem Bildschirm“ eine reale Person mit Familie, Hobbys und Humor. Diese emotionale Verbindung wirkt sich unmittelbar auf die professionelle Zusammenarbeit aus.
Lessons Learned – drei Schlüsselerkenntnisse
Mensch vor Mechanik: Prozesse helfen erst, wenn Menschen sich als Partner begreifen; Beziehungspflege gehört ins Pflichtenheft.
Transparenz schlägt Hierarchie: Offene Kanäle wie ein Daily Chat und wöchentliche Meetings mit Stakeholdern senken die Hemmschwelle, Rückfragen zu stellen oder Fehler früh zu melden – besonders in Kulturkreisen, in denen formelle Distanz üblich ist.
Wissen ist kein Sprint, sondern Staffellauf: Knowledge-Transfer dauert länger, wenn Sprache, Zeitzone und Domänenwissen zusammenkommen. Ein strukturierter KT-Plan plus ausreichend Puffer bewahren Teams vor Frust und sichern Qualität nachhaltig. Von Anfang an muss klar sein, dass eine Transition ein jahrelanger Prozess mit motivierenden, aber auch schwierigen, frustrierenden Phasen ist.
Fazit und Ausblick
Die Erarbeitung von Strukturen für die internationale Transition ist erst der Anfang. Das nächste Etappenziel sind selbstorganisierte Teams, in denen es keine Rolle mehr spielt, ob die Kolleg:innen in Deutschland, Rumänien, Polen oder Indien sitzen. Wir Transition-Manager ziehen uns Schritt für Schritt aus dem Daily Business zurück und agieren künftig eher als Coaches und Brückenbauer bei neuen Themen. So entwickeln wir uns von einer klassischen Nearshore-Konstruktion hin zu internationalen Teams mit einem One-Team-Aproach, der Innovation dort entstehen lässt, wo die besten Ideen wachsen – unabhängig von der Zeitzone.

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