New Pay

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Ist es möglich, dass angestellte Mitarbeiter sich fair bezahlt fühlen und dies auch noch offen kommunizieren? Dies scheint ein Interessenkonflikt per se zu sein, da der Unternehmer oder Vorstand/Geschäftsführer den Auftrag hat, möglichst viel Gewinn aus dem Unternehmen herauszuholen und die Mitarbeiter das Interesse haben, das Beste für sich herauszuholen. Wer dabei am besten feilscht, gewinnt. In einer Welt von New Work und gemeinsamer Suche nach Kundennutzen, der Unternehmensmission und einem attraktiven Wertesystem fühlt sich das für mich aber irgendwie nicht zeitgemäß an.

Dieses Gefühl hatten auch meine Geschäftsfreunde Nadine Nobilé, Stefanie Hornung und Sven Franke und haben dazu das Buch New Pay geschrieben. Anhand von 10 Praxisbeispielen von Unternehmen, die außergewöhnliche und „New Work kompatible“ Arbeits- und Entlohnungsmodelle etabliert haben, öffnen sie in Ihrem Buch den Raum der Möglichkeiten. Die Unternehmensbespiele unterscheiden sich untereinander erheblich und ein Patentrezept ist nicht dabei. Nadine Nobilé, Stefanie Hornung und Sven Franke verzichten auch, genau wie in Ihrem oft gewürdigten Film „Augenhöhe“, bewusst auf eine Stellungnahme und lassen die Beispiele einfach wirken. So kann bzw. muss der Leser sich das herauspicken, was aus seiner Sicht und Erfahrung in den Kontext passt.    

 

Maximale Transparenz und Partizipation als Voraussetzung

Ich habe von den 10 Beispielen 3 identifiziert, bei denen ich nützliche Anregungen für mein Unternehmen noventum gesammelt habe. Um die Erwartungen nicht zu hoch zu schrauben: das Grundproblem des Interessenkonfliktes zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer löst keines der Beispiele aus New Pay. Und doch finden sich einige nützliche Ansätze, um die Explosivität der Gehaltsverhandlung und die Unwürdigkeit des Feilschens der Parteien auf ein geringstmögliches Maß zu reduzieren.

Aus meiner ganz persönlichen Sicht sollten für ein zeitgemäßes Vergütungssystem folgende Grundsätze gelten:

  • Alle Mitarbeiter sollten eine höchstmögliche Transparenz der betriebswirtschaftlichen Zahlen des Unternehmens haben und dabei insbesondere ein Verständnis entwickeln, welche Gewinnmarge das Unternehmen braucht, um sich gut und angemessen entwickeln zu können und immer genug „Wasser unter dem Kiel“ zu haben. Ich nenne dies „anständige“ Gewinne. Zu der Transparenz gehört eine hohe Glaubwürdigkeit der obersten Führungskräfte, so dass die angestrebten Gewinne tatsächlich als ein für alle vernünftiger Rahmen akzeptiert werden.
  • Mit der von allen Seiten getragenen Akzeptanz der Gewinnerwartung lässt sich dann auch nachvollziehbar ableiten, wie hoch die gesamten Personalkosten sein dürfen. Damit ist die Größe des zu verteilenden Kuchens akzeptiert. Jetzt kann es also „nur“ noch um die Verteilung des Kuchens gehen, welche jedes Jahr angepasst werden muss.
  • Mit der Suche nach den Spielregeln zur Verteilung des Kuchens ist dann eine Arbeitsgruppe zu beauftragen, die einen guten Querschnitt aus allen Mitarbeiterbereichen darstellt. Hier gilt es, dass ein hohes Maß an Partizipation über mehrere Hierarchiestufen und Rollen dazu führt, dass die Spielregeln später Akzeptanz erfahren. Jeder, der sich einbringen möchte, sollte eingeladen sein. Bei der Suche nach den Spielregeln kann das Projektteam Studien heranziehen, externe Benchmarkings durchführen, Gespräche mit ähnlichen Unternehmen führen etc. und danach allgemeine Verteilungsspielregeln unter Berücksichtigung von Rolle, Erfahrung, Kompetenz, Leistungsbeitrag, Einsatzbereitschaft etc. mit dem Management und allen Mitarbeitern zu vereinbaren. Herauskommt ein Gehaltsrahmenplan, welcher sich idealerweise durch ein ausgewogenes Maß an Detailtreue und Einfachheit auszeichnet. Der Gehaltsrahmenplan muss an dieser Stelle noch dehnbar sein, abhängig von den akzeptablen Gesamtgehaltskosten.
  • Nun gilt es, die Individuen dem Gehaltsrahmenplan zuzuordnen. Diese Aufgabe sollte idealerweise nach dem Prinzip eines 360° Feedbacks erfolgen. Vorgesetzte, Mitarbeiter, Kollegen, ggfs. Kunden und natürlich der Mitarbeiter selbst sollten eine Einschätzung abgeben, welche Position im Gehaltsrahmenplan zu der jeweiligen Person passt.
  • Aus der Gewinnerwartung bzw. der erwarteten Gesamtgehaltssumme und der Position im Gehaltsrahmenplan ergibt sich dann das individuelle Gehalt, das wiederum verschiedene feste und variable Anteile enthalten kann. Diese Bestimmung ist hochgradig nachvollziehbar und damit theoretisch wenig angreifbar. Wäre jetzt nicht noch die Transformation hin zu diesem System, stünde einer vollständigen Gehaltstransparenz nichts entgegen.
  • Als nächster Schritt ist dann zu überprüfen, inwieweit sich die aktuellen Gehälter von den nach neuen Spielregeln errechneten Gehältern unterscheiden. Dies wird sicher an vielen Stellen so sein, und zwar nach oben und nach unten. Die Gehaltsentwicklung der Mitarbeiter, die aktuell ein höheres Gehalt haben als neu errechnet, müsste eingefroren werden, bis sich aufgrund der akzeptierten Gesamtgehaltshöhe wieder Spielraum ergibt. Umgekehrt sollte das Gehalt der Mitarbeiter, die aktuell nach den neuen Spielregeln zu wenig verdienen, schrittweise angepasst werden. In jedem Fall ist die Transformation zu dem neuen System mit viel Fingerspitzengefühl durchzuführen. Und es gilt natürlich die Besitzstandswahrung. Es ist kaum vorstellbar, dass Mitarbeitern aufgrund einer neuen Gehaltsbestimmungsformel das Gehalt gekürzt wird.

 

Der Wandel des Gehaltsmodells ist die Herausforderung

Bei allem Charme, den ein System von mehr Gehaltsgerechtigkeit und -nachvollziehbarkeit hat, sind sowohl der Aufwand wie auch die Risiken erheblich. Was mache ich mit Mitarbeitern, die individuelle Alleinstellungsmerkmale haben und die nach den Spielregeln nicht das verdienen, was sie erwarten. Bin ich dann bereit, auf diese Mitarbeiter zu verzichten, um das System zu schützen? Wie fühlt es sich für Mitarbeiter an, wenn man Ihnen sagt, dass sie eigentlich zu viel verdienen und deren Gehälter für längere Zeit eingefroren werden?  

Wir haben uns im Managementteam von noventum entschieden, die Arbeit an diesem Thema erst einmal in unserem Backlog der Unternehmensentwicklung zu parken, bis wir glauben, dass die Zeit reif ist. Bis dahin verfahren wir weiter mit unserem internen Benchmarking durch unser Management und einigen externen Vergleichen.

Dass es sich bei allem Aufwand und allen Risiken dennoch lohnen könnte, New Pay zu etablieren, zeigen die Great Place to Work ® Befragungsergebnisse. Die bei Mitarbeiterbefragungen formulierte These „Ich werde hier angemessen bezahlt“ wird von Mitarbeitern ausgezeichneter Unternehmen im Schnitt nur mit 50% positiv beantwortet, bei noventum liegt der Wert bei 70%. Das ist zwar nicht wirklich kritisch, ist damit aber bei uns eine der drei Fragen mit der schlechtesten Bewertung. Ob das eine ausreichende Motivation ist, den New Pay Weg einzuschlagen, werden wir in 2020 diskutieren.  

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