Change Management, wenn der Arzt kommt

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Veränderungen gibt es seit es Menschen gibt und den Begriff Changemanagement auch schon fast ein Jahrhundert. Der Ursprung des Changemanagements geht auf die 1930er Jahre zurück, als die Wissenschaftler Roethlisberger und Mayo die Leistungsfähigkeiten von Mitarbeitern unter Veränderungsbedingen untersucht haben. In den 1940er Jahren hat Kurt Lewin den Veränderungsprozess in Phasen aufgeteilt. Diese Ideen hat John Kotter danach in sein 8-Phasenmodell überführt, welche er in seinem prägnanten Werk „Our Iceberg Is Melting – Changing and Succeeding Under Any Conditions“ auf kinderbuchähnliche Weise sehr prägnant anhand der Herausforderungen einer Pinguinkolonie verdeutlicht. Mir hat dieses Werk die Augen geöffnet und ich denke heute noch immer wieder an die eingängigen Metaphern. Echt lesenswert.

Von Roethlisberger über Lewin und Kotter zu Dr. WaWiKS

Im Zuge der Entwicklung unseres Geschäftsfeldes Culture Change Management sind wir auf ein weiteres, ähnliches Modell gestoßen, und zwar auf das 5-Phasen Modell des US-amerikanischen Prosci®-Institutes mit dem Akronym ADKAR. Dies steht für Awareness, Desire, Knowledge, Ability und Reinforcement. Das Prosci® ADKAR-Modell ist führend in den USA und wird von unserem Partner Microsoft in unzähligen Veränderungsprojekten, insbesondere im Umfeld der Einführung von Kollaborationswerkzeugen genutzt. Das hat schließlich auch für uns den Ausschlag gegeben, dass wir uns in der Anwendung von Prosci® ADKAR von der www.tiba-business-school.de ausbilden und zertifizieren lassen haben.

Das Kind braucht nicht nur einen einprägsamen Namen, sondern auch ein gut wiedererkennbares Gesicht, dachte sich mein Kollege Jan Helmchen und übersetzte ADKAR in Dr. WaWiKS.

Dr inglichkeit
Wa ndlungswunsch
Wi ssen
K önnen
S truktelle Verankerung

Auftrag dieses Mediziners ist es, Veränderungsschmerzen zu lindern und nach einer meist unvermeidlichen Phase des Produktivitätsverlustes schnell und dauerhaft eine neue höhere Ebene zu erreichen.

Warum Veränderung so schwierig ist

Wer will Veränderung? Viele! Wer will sich verändern? Wenige! Was objektiv paradox erscheint, ist psychologisch logisch. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier und betrachtet oft eine Veränderung seiner Gewohnheiten als Eingeständnis des persönlichen Scheiterns, des Falschseins. Gesunde Menschen empfinden sich üblicherweise nicht als falsch. Wenn aber die Situation sich als ungünstig oder bedrohlich herausstellt, muss es ja Schuldige geben, die das verursacht haben und die falsch sind. Meistens sind es die da oben. Menschen in der Unternehmensführung, in der Politik und an anderen Orten da oben. Diese Haltung ist so verständlich wie hinderlich bei einer notwendigen Veränderung.

Im Changemanagement muss es also darum gehen, die Vergangenheit wertzuschätzen, die Notwendigkeit der Veränderung zu erkennen und dann einen eigenen Beitrag dazu leisten zu wollen, also intrinsisch motiviert zu sein. Schuldzuweisungen helfen nicht, auch wenn diese so schön einfach sind. An dieser Stelle verweise ich immer gerne auf Jens Corssens' Selbstmanager. Raus aus der Opferhaltung – hin zur Verantwortungsübernahme. Opfer haben zwar (subjektiv) Recht, Verantwortliche gestalten.

Warum Changemanagement gerade jetzt so wichtig ist

90 Jahre nach den ersten wissenschaftlichen Untersuchen zu wirkungsvollen Veränderungsmaßnahmen wird Changemanagement zunehmend relevant. Zum einen, weil die Taktung von Veränderung zunimmt, zum anderen, weil die Menschen sich immer weniger „managen“ lassen wollen und stattdessen Veränderungen herbeiführen, wenn es sich für sie lohnt. Und wenn es sich für ihre Organisation, mit der sie sich verbunden fühlen, lohnt.

Changemanagement ist im Grunde eine höchst partizipative Managementdisziplin, die auf die Kraft der intrinsischen Motivation setzt. Und genau das ist in Zeiten schneller Veränderung, New Work und Gen Y gefragt.

Die 5 Therapiestufen des Dr. WaWiKS

Changemanagement nach Lewin, Kotter oder Prosci® setzt darauf, dass eine tief greifende Veränderung in streng aufeinander folgenden Schritten erfolgt, wobei es entscheidend ist, dass jeder Schritt erst vollständig abgeschlossen ist, bevor der nächste beginnt. Dies ist auch bei der Therapie des Dr. WaWiKS der Fall.

Im ersten Schritt der Dr inglichkeit geht es darum, dass allen unmissverständlich in der Organisation klar wird: Wir müssen uns verändern. Ansonsten laufen wir in eine Katastrophe oder verpassen entscheidende Zukunftschancen. Und wir müssen uns jetzt verändern bzw. anpassen. Jeder Aufschub verschlechtert die Situation und das schadet allen. Für die Verdeutlichung der Dramatik ist die oberste Führungsebene verantwortlich. Wichtig ist dabei, dass dies mit großer Ehrlichkeit, Offenheit und Glaubwürdigkeit geschieht.

Im zweiten Schritt geht es darum, den Wa ndlungslungswunsch aller Multiplikatoren und Beeinflusser zu erzeugen. In Zeiten der Individualisierung ist dies nichts, was angeordnet werden kann. Wa ndlungswunsch muss aus intrinsischer Motivation entstehen. Dies ist der entscheidende Punkt des Changemanagements. Aus dem sicheren Gefühl „es muss sich etwas ändern“ muss folgen „ich will zu der Veränderung einen Beitrag leisten und mich selbst verändern“.

Der dritte Schritt des Changemanagements besteht aus der Vermittlung des benötigten Wi ssens. Jede Veränderung bedingt neue Verhaltensweisen, Praktiken, Spielregeln etc. Diese müssen erst erlernt und dann geübt werden. Im Schritt Wi steht Training im Fokus.

Im Rahmen der Übung neuer Arbeitsweisen und dem Erlernen neuer Fähigkeiten geht es im vierten Schritt um des K önnen. Die veränderten Arbeitsweisen müssen geübt werden. Dabei kann individuelles Coaching große Dienste leisten.

Schließlich geht es im fünften Schritt um die S truktuelle Verankerung der neuen Arbeitsweisen. Bildlich gesprochen müssen die Brücken zu den alten Arbeitsweisen abgebrochen werden, so dass die Gefahr, in die alte Rille zurückzufallen, eliminiert wird.

The First Steps are the Hardest

Im Changemanagement ist es entscheidend, dass die Schritte konsequent in der definierten Reihenfolge durchgeführt werden. Sonst wirken sie nicht. Dabei sind die ersten beiden Schritte Dr inglichkeit und Wa ndlungswunsch die wichtigsten und größten Schritte. Solange die Ausgaben an diesen Punkten nicht gemacht wurden, verpuffen die drei weiteren Schritte und der mit der Veränderung erwartete Erfolg tritt gar nicht oder deutlich geringer als erhofft ein.

Es ist nicht unüblich, dass Unternehmen sich auf den dritten Schritt, der Wi ssensvermittlung, fokussieren, bevor Dr inglichkeit deutlich ist und Wa ndlungswunsch existiert. Das ist so, als würde in einem Neubau der dritte Stock fein gemacht wird, bevor die Treppen in den ersten oder zweiten Stock gebaut sind.

Wie sich Ägilität und Veränderungsmanagement auf wunderbare Weise befruchten

Bringt man das agile „mind set“ und die agilen Methoden mit den Prinzipien von Changemanagement nach Dr. WaWiKS zusammen, ergeben sich sehr nützliche Synergien. Die Product Owner haben die Verantwortung, die Dr inglichkeit zu verdeutlichen und die notwendigen Maßnahmen zu priorisieren. Dann kommt der entscheidende Schritt. Nachdem alle Mitwirkenden die Dr inglichkeit verstanden haben, entsteht der Wa ndlungswunsch durch eine eigene Entscheidung auf Basis intrinsischer Motivation. In der agilen Sprache heißt dies „pull“. Die Akteure entscheiden sich dafür, sich und ihr Umfeld zu verändern ohne, dass sie einen Auftrag bzw. eine Anweisung von ihrem Chef dazu erhalten. Aufträge, die „gezogen“ wurden, werden im agilen Modell voll verantwortlich bearbeitet und im Rahmen von Sprintreviews und Retros reflektiert, um daraus zu lernen.     

Eine Sparkasse als Fallbeispiel

Im Juli 2019 wurden wir von einer Sparkasse beauftragt, ein großes Veränderungsprojekt mit Methoden des Changemanagements und der agilen Organisationsentwicklung zu begleiten. Der Veränderungsdruck kam im Wesentlichen durch die dauerhafte Niedrigzinsphase, die das Geschäftsmodell sehr vieler Banken und insbesondere von Sparkassen ins Wanken bringt. Für das Changemanagement ist dies eine gute Voraussetzung, denn die Dr inglichkeit war offensichtlich. Es galt jedoch sicherzustellen, dass dies auch in der gesamten Organisation in aller Deutlichkeit ankommt. Hier wurde ein vielschichtiger Kommunikationsprozess gestartet und dem Kind ein sehr prägnanter Name gegeben, der den benötigten zusätzlichen Ertragsbedarf für die kommenden Jahre quantifizierte. Danach war wirklich allen klar, dass eine tiefgreifende Veränderung erfolgen muss und dass sie jetzt gestartet werden muss. Wie dieser genau aussieht, war zu diesem Zeitpunkt jedoch noch nicht klar. Klar war jedoch, dass er unvermeidlich und umfassend ist, und dass jeder gut daran tut, sich den Veränderungen offen zu stellen, um ein Teil der Lösung und nicht ein Teil des Problems zu sein.

Im nächsten Schritt musste der Wa ndlungswunsch erzeugt werden. Hierzu gingen wir mit dem Vorstand und 20 weiteren Entscheidern in eine zweitägige Klausur, um die verfügbaren Optionen zu sammeln und zu priorisieren. Sehr hilfreich war dabei der Einsatz des Businessspiels www.eigenland.de , welches schwierige Dinge leicht und wirkungsvoll besprechbar macht. Durch den Einsatz von Eigenland® und anderen Kreativitätstechniken konnten wir einen veritablen Backlog erstellen und priorisieren. Und dann kam der entscheidende Punkt: die anwesenden Personen durften sich entscheiden, für welche der vielen Maßnahmen sie Verantwortung übernehmen wollen und was sie im nächsten 4-Wochen-Sprint zu liefern versprechen. Wichtig war an dieser Stelle die absolute Freiwilligkeit und die damit verbundene intrinsische Motivation. Dabei war es nicht der Fall, dass nur die angenehmen Aufgaben gezogen wurden. Dadurch, dass zuvor die Dr inglichkeit offensichtlich war, hatten sehr viele Menschen ein großes Interesse daran, ein gestaltender Teil der Veränderung zu sein und nicht unselbständig verändert zu werden.

Seit dem Initialschuss des zweitägigen Auftragsworkshops wird mit großer Transparenz der Fortschritt der Arbeitspakete mit agilen Arbeitsweisen verfolgt. Monatlich erfolgen Sprintreviews, Sprintplannings und Retros. Die Aufgaben sind in einfachen User Stories an einem elektronischen Kanban Board einzusehen und es wird darauf geachtet, dass sehr fokussiert an den Aufgaben gearbeitet wird und dass immer nur eine definierte Anzahl gleichzeitiger Aufgaben läuft. Neben dem unternehmensweiten Gesamtveränderungsprojekt sind bei der Sparkasse auch kleinere bereichsspezifische agile Projekte entstanden, die ebenfalls nach den Prinzipien von Changemanagement und mit agilen Methoden durchgeführt werden. Und das mit großem Wa ndlungswunsch durch intrinsische Motivation.

Die Schritte Wi ssen, K önnen und S trukturelle Verankerung werden jetzt sukzessive im Rahmen der anstehenden Maßnahmen in Angriff genommen. In Bezug auf das Erlernen und Üben der agilen Praktiken ist der Schritt Wi ssensvermittlung bereits erfolgt. Nun üben die Beteiligten, damit sie dies beherrschen, also K önnen.

Zusammenfassung         

Ist das oben beschriebene Zusammenspiel von Changemanagement und Agilität eine Sau, die durch das Dorf gejagt wird bzw. alter Wein in neuen Schläuchen? Ich sage ganz klar: NEIN. Mögen auch die einzelnen Elemente und Praktiken bereits hinreichend ausgeleuchtet sein, so ist deren Anwendung in vielen Organisationen ein lohnendes Experimentierfeld. Dabei ist entscheidend, dass die mächtigsten Menschen im Unternehmen den kulturellen Wandel hin zu einer dezentralen, selbstorganisierten auf Vertrauen, Verantwortung und Leistung basierten Organisation wirklich wollen. Mit anderen Worten muss genau dort der kulturelle Wa ndlungswunsch tief verankert sein. Damit das passiert, muss zuvor das Gefühl der Dr inglichkeit genau bei diesen Personen entstanden sein. Dies geschieht nun in meiner Wahrnehmung immer öfter. Wie es der Vorstandsvorsitzende der oben skizzierten Sparkasse ausdrückt: „Wer nicht mit der Zeit geht, der geht mit der Zeit.“

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